Fake News: The US Trade Deficit (German Only)

Felix Styma, 19.10.2017

Gastkommentar des IE.F-Vorsitzenden Prof. Friedbert Pflüger im Handelsblatt
Handelsblatt print: Nr. 201 vom 18.10.2017 Seite 056 / Gastkommentar / © Handelsblatt GmbH

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Fake News: Das US-Bilanzdefizit
Trumps Handelsbilanz-Vorwurf unterschlägt den digitalen Bereich, kritisiert Friedbert Pflüger.

Vor der Herbsttagung des IWF vermeldete das Statistische Bundesamt einen Anstieg der deutschen Exporte gegenüber dem Vormonat um 7,2 Prozent. Donald Trump, der seinen wichtigsten Partnern in Europa angesichts eines angeblich "massiven Handelsdefizits" immer wieder mit Strafzöllen droht, liefern diese Zahlen neue Munition. Der US-Präsident übersieht, dass es auch ein umfassendes digitales Handelsdefizit gibt - diesmal zulasten der Europäer. Wenn die Trump-Administration mit Schutzmaßnahmen gegen unsere Stahl- und Automobilindustrie Ernst machen sollte, wird in Europa unweigerlich eine Debatte über Maßnahmen gegen amerikanische Digitalgiganten entbrennen. Ein Handelskrieg wäre töricht.

Bisher steht der europäische Binnenmarkt mit mehr als 400 Millionen kaufkräftigen Internetnutzern für digitale Produkte und Dienstleistungen aus dem Ausland beinahe uneingeschränkt offen. Im Vergleich zu anderen Branchen herrscht ein geringes Regulierungsniveau. Europäische Nutzerdaten werden bis heute unentgeltlich in die USA transferiert. Dort werden sie in den Händen weniger Konzerne zu Innovationsquellen und Nutzerprofilen veredelt. Während uns völlig neuartige und hochindividualisierte Dienste angeboten werden, die längst den Alltag bestimmen, haben heimische Wettbewerber und Konsumenten keinen Zugang zu den entstehenden Datenpools und keine Möglichkeiten, einen ähnlichen Mehrwert daraus zu heben.

In diesem Umfeld konnten die amerikanischen Internetplattformen um Google Alphabet, Amazon, Facebook und Apple zu ungeahnter Größe heranwachsen: Mit jedem zusätzlichen Kunden und seinen Daten konnten Produkt- und Leistungsangebot verbessert werden. Durch die zusätzliche Schaffung digitaler Ökosysteme rings um die Kernservices haben die führenden Plattformen eine marktbeherrschende Stellung in der digitalisierten Welt errungen. Mit Produkten wie Amazon Echo, dem intelligenten Sprachassistenten auf dem Küchentisch, rücken sie tief in unseren Alltag vor und bestimmen im Zweifel alle nachgelagerten Dienste und Inhalte, die wir darüber anfordern.

Im Netz koordinieren und kontrollieren sie alle zentralen Knotenpunkte - wenn wir suchen, kaufen oder kommunizieren. So stellen digitale Plattformen nach einem kurzen Siegeszug sechs der zehn größten Unternehmen der Welt. Mehr als 50 Prozent des weltweiten Börsenwerts digitaler Plattformen entfallen auf Firmen allein aus dem Silicon Valley. Deutschland und Europa spielen hier nur als Absatzmarkt eine Rolle - weniger als fünf Prozent des weltweiten Börsenwerts!

So ist ein digitaler US-Handelsbilanzüberschuss entstanden. DIW-Präsident Marcel Fratzscher und der führende Risikokapitalgeber Klaus Hommels (Lakestar) beziffern dieses europäische "digital trade deficit" bereits für das Jahr 2014 mit 68 Milliarden US-Dollar. Weil nicht alle digitalen "Exporte" in Handelsstatistiken auftauchen, ist die US-Dominanz in der Digitalisierung wahrscheinlich noch viel bedeutender. Eskaliert die Situation zu einem Handelskrieg? Werden US-Strafzölle für die europäische Automobil- und Stahlindustrie mit einer Facebook- oder Google-Steuer beantwortet? EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigte im Rahmen des letzten G20-Gipfels jedenfalls an, innerhalb weniger Tage mit Gegenmaßnahmen auf mögliche Strafzölle der Amerikaner zu reagieren.

Den Weg in einen Handelskrieg müssen wir jedoch vermeiden. Die nächste Bundesregierung muss eine deutsche und europäische Digitalwende vorantreiben - eine digitale Aufholjagd: Wenn wir oben mitspielen wollen, müssen die rasant steigenden Anforderungen an die digitale Infrastruktur erfüllt und wettbewerbsfähige Finanzierungsmöglichkeiten für junge und rasant wachsende Unternehmen geschaffen werden, und die amerikanische Dominanz in der Plattformökonomie muss entlang einer marktkonformen und wettbewerbserhaltenden Regulierung eingehegt werden.

Wenn Trump den Weg des Protektionismus wirklich geht, wird die Junker'sche Warnung in Europa zwangsläufig auf breite Zustimmung stoßen. Um eine Eskalation zu vermeiden, sollten die Verantwortlichen in Europa in den Gesprächen mit der Regierung Trump auf unser digitales Handelsdefizit hinweisen. Trump muss verstehen, dass ein "America first"-Protektionismus die deutsche und europäische Industrie zwar treffen würde, gleichzeitig aber gravierende Auswirkungen für den digitalen Wachstumsmotor der US-Wirtschaft haben könnte.